Adaptive Prozesslandschaften: Wie lernende ECM-Systeme starre Workflows durch KI und RPA transformieren

Adaptive Prozesslandschaften: Wie lernende ECM-Systeme starre Workflows durch KI und RPA transformieren
„Wie viel Flexibilität vertragen Ihre ECM-Prozesse? Lernende Systeme kombinieren KI-Analyse mit RPA, um Workflows an menschliche Arbeitsstile anzupassen – und reduzieren so ‚Schatten-ECMs‘. Welchen Stellenwert hat Personalisierung in Ihren Prozessen? Diskutieren wir die Zukunft adaptiver Workflows! 

In der industriellen Produktentwicklung sind Engineering-Change-Management(ECM)-Prozesse unverzichtbar, um Änderungen effizient zu steuern und Compliance-Anforderungen wie REACH oder RoHS sicherzustellen. Doch traditionelle ECM-Systeme, die auf starren IDEF0-Modulen basieren, stoßen an Grenzen: Sie behandeln Mitarbeitende als „Mechanismen“ und ignorieren individuelle Arbeitsstile, was zu Umgehungslösungen und sinkender Akzeptanz führt. Adaptive Prozesslandschaften – auch „lernende ECM“ genannt – bieten hier eine Antwort: Durch KI-gestützte Analyse von Arbeitsmustern und RPA-Bots, die Workflows dynamisch anpassen, entstehen Systeme, die menschliche Expertise mit digitaler Präzision verbinden.

Technologie: RPA-Bots als flexible Prozessgestalter

Die Kerninnovation lernender ECM-Systeme liegt in der Integration von Robotic Process Automation (RPA) und KI. Während klassische RPA-Bots repetitive Tasks automatisieren, gehen adaptive Lösungen weiter: Sie analysieren mithilfe von Machine Learning, wie Mitarbeitende Prozesse intuitiv ausführen – etwa welche Tools sie bevorzugen oder an welchen Stellen sie Workflows umgehen. Diese Daten fließen in Echtzeit in IDEF0-Module zurück, die sich automatisch anpassen.

Ein Beispiel aus der Automobilindustrie zeigt, wie Camunda als Orchestrierungstool genutzt wird: RPA-Bots erkennen, dass Ingenieure bestimmte Prüfschritte in SAP PPM überspringen, um Zeit zu sparen. Statt diese Umgehung zu sanktionieren, passt das System den Workflow an – die Prüfung wird als optional markiert, wenn historische Daten zeigen, dass sie selten relevante Fehler aufdeckt.

Nutzen: Personalisierte Pfade gegen „Schatten-ECMs“

Starre Prozesse provozieren informelle Lösungen: Studien belegen, dass bis zu 40 % der ECM-Aktivitäten in „Schatten-Workflows“ stattfinden (Schiersmann/Thiel 2014). Lernende ECM-Systeme reduzieren dies, indem sie Prozesspfade auf individuelle Bedürfnisse zuschneiden. Ein UX-Designer im Maschinenbau erhält etwa verkürzte Freigabeschritte für CAD-Änderungen, während ein Qualitätsmanager automatisch erweiterte Compliance-Checks auslöst – basierend auf deren Interaktionsmustern.

Der Clou: Die personalisierten Pfade bleiben innerhalb des IDEF0-Rahmens. KI identifiziert Muster, wie Mitarbeitende der Medizintechnik Dokumentationen vervollständigen, und trainiert RPA-Bots, repetitive Eingaben vorzubelegen. Dies senkt den manuellen Aufwand um bis zu 35 %, wie ein Pilotprojekt bei einem Hersteller von Herzschrittmachern zeigte.

Praxisbeispiel: Medizintechnik mit 20 % höherer Akzeptanz

Ein führender Hersteller medizinischer Bildgebungsgeräte implementierte ein lernendes ECM-System, das Arbeitsstile in Echtzeit analysiert:

  • KI-Module trackten, wie Ingenieure Änderungsanträge (ECRs) in Siemens Teamcenter dokumentierten – von genutzten Vorlagen bis zu wiederkehrenden Umgehungen.
  • RPA-Bots passten daraufhin Workflows an: Nutzer, die häufig Excel für Zwischenberechnungen nutzten, erhielten automatische Importfunktionen in die ECM-Oberfläche.
  • Dynamische Freigabepfade: Für risikobehaftete Änderungen (z. B. Software-Updates) wurden zusätzliche Review-Schritte nur bei Bedarf eingeblendet.

Das Ergebnis: Die Akzeptanz des ECM-Systems stieg um 20 %, während Compliance-Verstöße um 15 % sanken. Mitarbeitende empfanden die Prozesse nicht mehr als Fremdbestimmung, sondern als Unterstützung – ein Effekt, der in der Adaptive-Case-Management-Studie von Cflow (2024) ebenfalls betont wird.

Umsetzungsansatz: Vom mechanischen System zum lernenden Ökosystem

  1. Datenintegration: Koppeln Sie PLM-Systeme wie Siemens Teamcenter mit KI-Tools (z. B. TensorFlow), um Arbeitsstile zu analysieren. IoT-Sensoren erfassen Echtzeitdaten aus der Produktion.
  2. RPA-Implementierung: Nutzen Sie Tools wie Camunda, um Workflows basierend auf KI-Empfehlungen anzupassen. Beispiel: Automatisierte Excel-Importe für CAD-Daten.
  3. Feedbackschleifen: Führen Sie wöchentliche Retrospektiven ein, bei denen Mitarbeitende KI-Anpassungen bewerten. Nutzen Sie Microlearning (z. B. SAP Litmos), um Akzeptanz zu steigern.
  4. Ethik & Transparenz: Implementieren Sie Explainable AI (XAI), um Entscheidungen nachvollziehbar zu machen, und Blockchain für Audit-Trails.

Herausforderungen und Lösungen

  • Datenqualität: KI-Modelle benötigen granulare Nutzungsdaten. In der Pilotphase führte mangelhafte Sensorik in Legacy-Tools zu Fehlanpassungen. Abhilfe schufen IoT-Schnittstellen, die Interaktionen in Echtzeit erfassen.
  • Kulturwandel: Überwachung von Arbeitsstilen löste initial Datenschutzbedenken aus. Anonymisierte Analysen und transparente Opt-out-Optionen entschärften dies.

Fazit: Vom starren Gerüst zum lebendigen Ökosystem

Adaptive Prozesslandschaften markieren einen Paradigmenwechsel: ECM wird vom Kontrollinstrument zum lernenden Begleiter, der menschliche Arbeitsstile nicht bekämpft, sondern integriert. Tools wie Camunda oder Cflow zeigen, dass diese Vision technologisch machbar ist – doch entscheidend bleibt der kulturelle Faktor. Nur wenn UX-Designer und Prozessoptimierer KI als Enabler begreifen, entfalten lernende Systeme ihre volle Kraft: als Brücke zwischen Standardisierung und Individualität.

Literatur

  • Verband der Automobilindustrie. Whitepaper Engineering Change Management Reference Process.
  • Schiersmann, Christiane; Thiel, Heinz-Ulrich. Organisationsentwicklung.
  • Zink, Klaus J. Mitarbeiterbeteiligung bei Verbesserungs- und Veränderungsprozessen.
  • Cflow. A Brief Guide to Adaptive Case Management Software.
  • ILC GmbH. 4PEP Engineering Change Management – Fallstudien.

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